»Tobias Klett lässt in seiner Theorie-Diplomarbeit ›Manifestwerden‹ einen Historischen Materialismus der Schrift mittels einer typografiegeschichtlichen Perspektive manifest werden. Der Text beginnt mit der Trajanssäule in Rom und endet mit einem Plädoyer für eine messianische Geschichtsschreibung, die nach dem Vorbild der Geschichtsphilosophischen These Walter Benjamins kritisch die Institutionen Sprache und Schrift in den Blick nimmt. Von Benjamin zeigt sich auch der Entwurf einer Schriftgeschichte inspiriert, die auf historisch sich verändernde (mediale) Zeit- und Raumverhältnisse bei der ›Verschriftlichung von Sprache‹ ausgerichtet ist. In allen Fällen, auch in den digitalen der Gegenwart, bleibt die Schrift ›von der materiellen Bedingtheit ihrer technischen Produktion‹ nicht zu trennen. TK rekurriert auf Albert Kapr, um die Bedeutung der Schreibwerkzeuge (Stichel, Kupferstich, Linotype) für die Gestaltung der Schriftformen herauszustellen. ›Ohne Preßbengel‹ kein Bauernkrieg, ohne die Schnellpresse kein Zeitungswesen. Mit den materiell-technischen Bedingungen sind zugleich ökonomische und politische Bedingungen verkoppelt. Im dritten Abschnitt seiner Arbeit verdeutlicht dies TK, indem er auf den Schriftstreit (Antiqua-Fraktur) eingeht, der durch den ›Schrifterlass‹ Hitlers 1941 beendet wurde. Auch im Rahmen der Ausstellung ›Entartete Kunst‹ wird auf die die ›Typenidentität‹ verletzende Schriftpolitik aufmerksam gemacht. Mit ideologiekritischen Mitteln wird insbesondere die Auffassung von der Schrift als einem ›neutralen Trägermedium von Sprache‹ zurückgewiesen. In der jüngeren Gegenwart sieht TK den im Bereich der Werbung etablierten Schriftgebrauch als besonders exemplarisch für die fortbestehenden gesellschaftlichen Antagonismen. Stets wird ein Fetisch produziert, wo die Textinhalte von außen – Machtverhältnissen konform – stabilisiert werden müssen. Im Fetischcharakter der Schrift drückt sich die eine Seite der ›doppelten visuellen Rezeption‹ aus. Die neofunktionalistische Typografie dient nach TK einer ›Erfüllung […] der Bedürfnisse des Marktes‹, sofern sie ›Überparteilichkeit‹ und damit ideologische Neutralität für sich beansprucht. Sie ist nur die Spitze eines Eisbergs, einer Geschichte – nach Benjamin: der Sieger, die sich überliefert finden –, die die lange ›Tradition eines […] antiken Humanismus‹ fortschreibt. TK wählt in Anlehnung an die Kritische Theorie eine ›atonale Sprache‹, die es ihren Leser*innen nicht gerade leicht macht. Sie will die Schrift ihrer Komplizenschaft mit dem Kapital überführen, in das sie restlos verstrickt ist – aber sie tut dies, um sie zu retten. ›Wesentlich ist dem Blick die Unversöhnlichkeit gegenüber seinem Objekt, der Geschichte, als einer Leidensgeschichte historischen Klassenkampfes, der nicht abgeschlossen ist […].‹ Stets ist es möglich, notwendig, diese ›Aktualität‹ (der nicht abgeschlossenen, und damit veränderbaren Geschichte) ›zu erkennen‹. Die ›revolutionäre Typografie‹ setzt sich zum Ziel, das ›nicht eingelöste Potential‹ der Geschichte freizusetzen, indem sie ›gegen den Strich‹ gebürstet werde.
Die Arbeit von TK bewegt sich souverän in einem voraussetzungsreichen, marxistisch geprägten Diskurs. Sie entwickelt die Idee einer weitreichenden historischen Typografie, die auf die genauen Beziehungen zwischen der Schrift und der Sprache und damit auch der materiellen gesellschaftlichen Dispositive abzielt. Damit ist ein Programm entworfen, das auch unabhängig von bestimmten theoretischen Vorgaben Zukunft beanspruchen kann.«
(Marc Rölli, 2019)
© Tobias Klett, 2023